Sonntag, 22. November 2015

Wann werden die Menschen anfangen differenziert zu denken?

Die folgenden Zeilen sind ein Festhalten meiner Gedanken zu dem, was derzeit in der Welt geschieht. Dieser Blog wurde geschaffen, um von meiner Zeit hier in Costa Rica zu berichten. Doch dazu gehört nicht nur, dass ich erzähle, was ich aller erlebe, sondern auch was ich denke und fühle. Unter diesem Gesichtspunkt möchte ich den folgenden Text verstanden wissen. 


Wenn man das Weltgeschehen zur Zeit beobachtet, werfen sich viele Fragen auf. Dabei ist es egal, von wo aus ich das Ganze beobachte, ob von meinem Zimmer zu Hause aus, oder hier in der Lodge in Costa Rica.
Fragen, auf die ich keine Antworten weiß, die aber trotzdem gestellt werden müssen.



Eine Frage, die sich in diesen Tagen wohl viel stellen, ist: In was für einer Welt leben wir?
In einer Welt voller Krieg, Angst, Argwohn...?
Doch die eigentliche Frage sollte viel mehr lauten: Wer lebt denn in dieser Welt?
Wer macht denn diese Welt zu eben jener, die sie ist?
Es sind wir, der Mensch. ( Bei genauere Betrachtung ist auch diese Antwort fragwürdig, denn es gibt noch so viele tausend andere Lebewesen auf dieser Welt, nur nimmt der Mensch sich das Recht raus, das wichtigste zu sein und stellt sich über alles und jeden. Doch darüber zu philosophieren würde wahrscheinlich Bücher füllen.)

Der Mensch. Ein Wesen, was intelligent und zielstrebig ist. Es strebt nach immer Neuem, immer Mehr. Wir sind ein Spezies, die viel geleistet hat, aber immer mindestens genauso viel zerstört hat. Unsere Wesensart ist die Ursache allen Übels.
Wir sind egoistisch. Der eine mehr, der andere weniger. Wir streben nach dem eigenen Profit. Das muss nicht immer falsch sein. Kann es aber.
Der Stärkere verdrängt den Schwächeren nicht nur, er nutzt ihn auch noch zu seinem Gunsten aus. Wir sind zu intelligent. In einer Welt voller Technik verlieren wir nach und nach die Menschlichkeit. Wir streben nach Wissen und Macht, erfinden Dinge, die nicht nur unserem eigenen Nutzen dienen, sondern genauso gut in der Lage sind, uns zu zerstören. Wir wollen immer mehr, ohne Rücksicht auf Verluste.

In einer Zeit, in der ein Schrecken den nächsten jagt, kommen unsere schlechten Eigenschaften besonders stark zum Vorschein. In einer Zeit des Friedens und der Ruhe lassen sie sich doch zu einfach verstecken.
Was für ein Wesen sind wir, wenn wir in einer Welt leben, in der wir den einen Schrecken vergessen, nur weil er von einem noch größeren überschattet wird, und nicht weil das Problem gelöst wurde?
Das sagt nichts über unsere Welt aus, sondern über jene, die sie bevölkern.



Der Terror in Paris hat alle getroffen. Für einen kurzen Moment war die Flüchtlingskrise vergessen, weil etwas noch Schockierenderes eingetreten war.
Doch der Moment währte nur einen Wimpernschlag.
Dann begann das große Vermischen.
Islam. Terrorismus. Flüchtlinge.

Der Mensch muss endlich anfangen differenziert zu denken. 
Unabhängig von der Schriftfarbe und dem Hintergrund ist alles, was ich im Internet lese nur Schwarz-Weiß.
Sieht denn niemand die tausend Grau-Töne?
Wir kategorisieren der Einfachheit halber in A und B. Wir stellen den Willkommensbürger dem Pegidaanhänger gegenüber. Aber so einfach ist das nicht. Das ist nicht schwarz-weiß, nicht Gut und Böse. Es gibt bei den Willkommens-Demonstrationen genauso Extremisten, die auf Krawall aus sind, wie es bei Pegida viele gibt, die nicht gegen die Flüchtlinge, sondern gegen die Flüchtlingspolitik in Deutschland, in Europa, in der Welt sind. Es ist einfacher in Gut und Böse zu sortieren, anstatt die Nuancen zu berücksichtigen. Aber deswegen ist es trotzdem nicht richtig.

Wie wenig wir differenzieren zeigt auch die jetzt neu aufkeimende Vermischung von Terror und Islam. Wir machen eine Religion zum Staatsfeind. Dazu haben wir kein Recht. Hat niemand ein Recht. Ich halte prinzipiell nichts von Religionen. Das ist meine persönliche Einstellung, die ich von anderen akzeptiert wissen möchte, genauso wie ich die Religiösität anderer Menschen akzeptiere. Nichts desto Trotz darf auch hier nicht Religion mit Gesetz vermischt werden, und es muss klar sein, dass die Gesetze eines Landes von einer jeden Person in diesem Land eingehalten werden müssen. Sei es von Einheimischen oder Zuwanderern. Nicht jeder Muslim ist ein Terrorist, so wenig wie im Mittelalter jeder Christ ein Kreuzritter war. Wir müssen uns allerdings der Gefahr bewusst sein, dass für Terroristen die Chance natürlich sehr einladend ist, sich unter den Flüchtlingen mit ins Land zu schmuggeln.
Verallgemeinern wir aber von vornherein, sei es, dass man alle Flüchtlinge für Terroristen hält, oder alle für integratiosnwillige Flüchtende, dann ist das genau die Naivität und Trägheit zu denken, die uns keinen Schritt weiter bringt, die lediglich zwei Fronten verhärtet. Wir hetzten uns gegenseitig auf, was uns noch weiter von einem gemeinsamen Ziel entfernt.

Ich möchte vor Verallgemeinerung warnen und auf die Grautöne hinweisen. Dabei ist es egal, um welche Thematik es sich handelt. Denn sonst zeigt dies nur, wie wenig wir uns in den letzten 600, 700 Jahren verändert haben. Im Mittelalter wurde man als Hexe verurteilt, wenn man ein besonderes Muttermal aufwies. Muttermal oder kein Muttermal. Gut oder Böse. Schwarz oder Weiß. Haben wir seit dem wirklich nichts dazu gelernt, uns nicht  weiter entwickelt?



Wir müssen anfangen selbst zu denken. Anfangen, Probleme von allen Seiten zu betrachten und nicht nur von oben und unten.

Die Medien berichten von Paris.
Auf Facebook färben alle ihr Profilbild in den Farben der Tricolore.
Kaum einer erzählt von Beirut, Tokyo, wer gedenkt der tausend Tote in Syrien? Jeden Tag?
Ist es wirklich so weit gekommen, dass wir uns von einer profitgeilen Mediengesellschaft vorschreiben lassen, welches Unglück wir mehr zu betrauern haben? Wer hat denn das Recht zu beurteilen, welches Unglück schlimmer ist? Kann die gleiche Tat an unterschiedlichen Orten verschieden bewertet werden?
Sind wir immer noch der ungebildete Bauer des 13. Jahrhunderts, der die Gräueltaten des eigenen Königs als Heldentat feiert und die des Gegnerischen ein Verbrechen schimpft? Haben wir uns so wenig verändert?
Ich fürchte ja. Unsere Grundzüge haben sich nie gewandelt. Ein Löwe, war schon immer ein Jagdtier, heute und vor 1000 Jahren. Ein Reh war in seinem Wesen schon immer scheu, heute und vor 1000 Jahren. Und so ist auch der Mensch ein Tier, dessen Wesen sich kaum verändert hat.
Wir haben es im Laufe der letzten Jahrhunderte nur hinter immer neuen Masken versteckt, die das Verhalten legitimieren sollten. Absolutismus, Konservatismus, Nationalismus, Kommunismus. So verschieden diese Ideologien auch sein mögen, am Ende haben sie doch alle das gleiche Ziel: eine Meinung durch setzen, den Menschen manipulieren, instrumentalisieren. Selbst die Demokratie, die doch die Gleichberechtigung und Meinungsfreiheit als oberstes Gebot betrachtet, gestattet sie nur jenen, deren Meinung sie toleriert, Wer gegen die Demokratie ist, hat keine Daseins-Berechtigung. Schwarz-Weiß.



Vielleicht trauern wir mehr über Paris, weil es näher ist. Weil es unsere Vorstellung von Wirklichkeit am ähnlichsten ist und so die Angst greifbarer erscheinen lässt, dass das Gleiche auch bei uns passiert. Zumindest wäre das ein Grund, dem ich eher bereit wäre zu glauben, als der traurigen Tatsache, dass wir nur mehr darüber trauern, weil die Medien mehr darüber berichten.

Denn dann würde sich zwangsläufig die Frage stellen: Wer steckt denn hinter den Medien?
 - Der Mensch.
Ein Mensch, oder viele, die aus dem Unglück des Einzelnen auch noch Profit schlagen. Die sich das absurde Recht rausnehmen, zu urteilen welche Katastrophe schlimmer ist. Und wenn es das nicht ist, dann die Frage, mit welcher Katastrophe sie mehr Zeitungen verkaufen, mehr Einschaltquoten haben. Dann lautet die Antwort, Paris. Weil es näher ist. Was juckt uns Tokyo, das ist doch weit weg.

Doch wir dürfen uns nicht auf das Urteil der Medien verlassen, uns nicht nicht der Faulheit hingeben nur zwischen der vorgedruckten Meinung A oder B zu entscheiden. Wir müssen hinterfragen, nachdenken, differenzieren.



Denn nur so können wir am Ende an einem gemeinsamen Ziel ankommen. Wenn wir aufhören, uns nur um unseren eigenen Dunstkreis zu drehen, mal den Blick über den Tellerrand wagen, von der Zeitung aufblicken und uns eine eigene Meinung bilden.
Wir sollten uns weder vom Terror einschüchtern, noch von den Medien instrumentalisieren lassen. Wir dürfen nicht aufhören, für unsere Werte, für die wir einstehen, leben und die uns dazu bewegen jeden Morgen aufzustehen, zu kämpfen.

Neben all' den schlechten Eigenschaften des Menschens, die in Krisenzeiten ans Licht kommen, ist es besonders jetzt wichtig, dass wir uns unserer positiven Eigenschaften erinnern und diese leben. An unser Sozialwesen, Hilfsbereitschaft, Offenheit und das Streben nach Neuem (siehe letzter Post: Willensfrage).

Wir können diese Krise meistern. Dessen bin ich überzeugt. Allerdings nur gemeinsam. Und nur dann, wenn wir uns vom Schwarz-Weiß der Medien abwenden, uns den Grautönen widmen, differenzieren, Probleme von allen Seiten betrachten und dann gemeinsam nach einer Lösung suchen.

Abschließend würde ich gern dem Schwarz-Weiß Denken entgegensetzen, dass nicht alle Menschen so sind, doch ich fühle mich nicht in der Lage diese Behauptung in den Raum zu stellen. 

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