Freitag, 23. Oktober 2015

"Hier bin ich Mensch. Hier darf ich's sein."

Ein jeder Mensch hat das Recht darauf, als solcher behandelt zu werden.
Ein jeder Mensch hat das Recht darauf, glücklich zu sein.

Wer darf einem anderen Menschen vorschreiben, wo er glücklich ist? Wo er glücklich sein DARF?

Wir alle werden in eine Familie, in eine Situation herein geboren. Ungefragt. Ob wir wollen, oder nicht. Vor unserer Geburt hat uns niemand gefragt, ob wir Deutscher, US-Amerikaner oder Syrer sein wollen. Wir sind es einfach. Wir haben blonde Haare, schwarze Haare, helle Haut, dunkle Haut, sprechen Deutsch, sprechen Chinesisch. Was wir jedoch alle gemein haben: Wir haben alle ein Leben vor uns, welches in unserer Hand liegt. Manchen wird viel in die Wiege gelegt, andere müssen viel arbeiten, um die ihnen von Geburt an gegebene Situation zu verbessern.

Doch wie urteilen wir manchmal über jemanden, der in in nicht so guten Verhältnissen lebt, dass er doch sein Leben selbst in die Hand nehmen soll. Soll er doch arbeiten, damit er ein besseres Leben führen kann, und nicht mehr Flaschen sammeln muss. Zu schnell sind Worte wie "Selbst Schuld." ausgesprochen und der Blick wieder abgewendet.

Wenn ein Kind in einem Kriegsgebiet geboren wird, ist es dann selbst schuld?
Darf man ihm verübeln, wenn es als Erwachsener alles Menschenmögliche tun wird, um seine Lebenslage zu verbessern?
Um der Situation irgendwie entkommen zu können?
Hat dieser Mensch denn kein Recht, glücklich zu sein?
Wer kann zwischen brennenden Autos und Trümmern glücklich sein?
Darf man den Menschen für sein Streben nach Glück verurteilen?
Wer darf entscheiden, wo welcher Mensch glücklich sein darf?
Mensch sein darf?

In Goethes Faust sagt eben dieser während des Osterspaziergangs: 
 "Hier bin ich Mensch. Hier darf ich's sein."
Doch was ist, wenn "Hier" eben nicht zu Hause ist, weil dieses zu Hause nicht mehr existiert? Wo bin ich dann Mensch? Dann muss ich mir einen neuen Ort suchen. Einen Ort an dem ich Mensch sein darf, glücklich sein darf. Dann muss ich ein "Dort" suchen. Denn wenn ich im Hier kein Mensch sein darf, kann, was bin ich dann?

Als ich im Herbst vergangenen Jahres zurück in Taiwan war, gingen mir genau diese Worte von Goethe durch den Kopf. "Hier bin ich Mensch. Hier darf ich`s sein." Hier, dort, in Taiwan, bin ich glücklich. Glücklich, weil ich dort ich sein kann. Ich bin selbst verantwortlich für mein Leben, für mein Wohlbefinden, für mein persönliches Glück. Dieser Verantwortung mir gegenüber besteht zum Beispiel darin, dass ich in Zukunft dafür und daran arbeiten werde, wieder nach Taiwan zurück zu kommen. Doch diese Verantwortung ist leichter zu tragen, weil sie nicht ganz allein auf meinen Schultern lastet. Ich habe eine tolle Familie, die mich immer unterstützt und ein sicheres zu Hause, wo ich jederzeit hin zurückkehren kann und mir sicher sein kann mit offenen Armen empfangen zu werden.

Ich habe ein Recht darauf glücklich zu sein. Bin ich unglücklich, muss ich selbst schauen, wie ich das ändern kann, muss mein Glück schon selbst in die Hand nehmen.

Jeder andere Mensch hat dieses Recht auch. Nur haben es viele sehr viel schwerer, als ich es habe, die ich aus einem wohl behüteten Nest komme. Sie haben nix und geben alles. Alles für ein besseres Leben, für mehr Menschlichkeit. Und empfangen werden sie von Hass, Argwohn, Unverständnis.
Wenn es mich zurück nach Taiwan zieht, trifft das zwar hier und da auch auf Unverständnis, aber niemand wird mich dafür verurteilen, dass ich mein Leben nach meinen Wünschen gestalten möchte. Und so sollte auch niemand anderes dafür verurteilt werden, wenn er für ein besseres Leben kämpft.
Wir haben alle das gleiche Recht auf Menschlichkeit und eine Chance verdient, das beste aus unserem Leben zu machen. Zumindest eine Chance. Kein Versprechen, dass es so sein wird, aber eine Hoffnung, die wir respektieren sollten anstatt sie zu verurteilen.

Ich möchte mit diesen Zeilen kein politisches Urteil fällen, möchte auch niemanden für seine Meinung verurteilen. Ich möchte nur versuchen an die Menschlichkeit zu appellieren. Ich bin hier viele tausende Kilometer von meinem zu Hause entfernt und sehe furchtbare Bilder aus meinem Heimatland. Menschen ohne Menschlichkeit. So schnell sind Worte gesprochen, Urteile gefällt, Menschen degradiert. Aber es sind immer noch Menschen. Menschen, die nichts für ihre Herkunft und Lebenslage können, die einfach nur versuchen ihr Leben, oder das was davon noch übrig ist, in die Hand zu nehmen und das Beste daraus zu machen. Es macht mich traurig, zu sehen, was in Deutschland passiert. Ich frage mich, was passiert da, in meiner Heimat?

Wir haben ein Problem, ja, ein verdammt großes, dessen Lösung nicht einfach ist. Aber ohne Menschlichkeit werden wir es nicht lösen können.
Mir ist durchaus bewusst, dass alles noch viel komplexer ist, als der ein oder andere vielleicht denken mag, ich das hier darstelle. Das weiß ich. Es ist sehr viel komplexer, mir fehlen hier viele Informationen, nur Bruchstücke erreichen mich. Doch selbst für jemand, der in diesen Tagen in Deutschland lebt, ist die Lage vielleicht nicht immer ganz klar. Kann gar nicht klar sein. Denn dazu müsste man tausend Fälle einzeln betrachten, an jeder einzelnen Demo selbst teilgenommen haben, jeden Artikel dreimal gelesen haben und sich immer alle Meinungen zu einem Konflikt anhören und nicht nur eine.

Doch wie gesagt, dass hier soll kein politisch motivierter Artikel sein, soll keine Vollständigkeit anstreben, sondern nur eine Zusammenfassung meiner Gedanken sein und vielleicht die kleine Erinnerung daran, dass es sich bei der ganzen Problematik immer noch um Menschen handelt.

Menschen, mit dem natürlichen Streben, glücklich zu sein.

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